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:-) Film Kunst 

Spanische Webserien als Blüten der Krise

Spanien wurde von der Finanzkrise getroffen wie kaum ein anderes europäisches Land. Doch viele der Probleme sind hausgemacht. In der Hochkonjunktur wurde vor allem in Infrastruktur investiert als gäbe es kein Morgen mehr. Zum Beispiel wollte jede Provinzhauptstadt ihren eigenen Flughafen, einige davon haben heute fast oder gar keinen Flugverkehr. Es entstand nach China das zweitgrösste Netz für Hochgeschwindigkeitszüge, welches aber eher schlecht als recht ausgelastet ist. Private Autobahnen konkurrenzieren die staatlichen nur wenige Kilometer entfernt auf parallelen Strecken, mehrere Betreibergesellschaften sind heute Pleite und sollen vom Staat übernommen werden. Angeheizt wurde der Boom auch durch den ungebremsten Bau von Wohnungen und Häusern, nirgends in Europa ist die Eigenheimquote höher als in Spanien. Sie liegt bei 86%. Mit zweifelhaften Krediten in Erwartung eines nie endenden Wachstums wurden viele von den Banken geködert und nachdem die Blase platzte, verloren Abertausende ihre Existenz. Oft war nämlich nicht nur das Haus oder die Wohnung weg, sondern auch gleich die Arbeit. Grundlage dafür war wohl die dezentralisierte Politik nach der Frankodiktatur, die die einzelnen Regionen mit viel Autonomie ausstattete. So machte Madrid, um des Friedens Willen und um überhaupt regieren zu können, oft grosszügige finanzielle Zugeständnisse an die Regionen. Das Geld lieh man sich sehr einfach bei der Europäischen Union. Zwar stellte sich ein Wirtschaftswunder ein, gleichzeitig wurden aber Gelder immer unvernünftiger und ohne Plan in U-Bahnen, Strassenbahnen, Konzerthallen oder eben Flughäfen investiert. Manche von ihnen haben nie eröffnet. Dann kam Lehman Brothers. Die Party war zu Ende. Und all die vielen Korruptionsskandale fanden ihren Weg ans Licht. Der Staat war Pleite.

Ein kurzes Erklärvideo mit deutschen Untertiteln:

Speziell hart trifft es dabei die Jungen. Sie werden auch die verlorene Generation genannt. Die Höchstmarke erreichte 56% Arbeitslose bei den unter Dreissigjährigen. Spanien hat noch nie eine solch gut ausgebildete Jugend  mit so vielen Hochschulabschlüssen gesehen. Jedoch wohnen die meisten von ihnen noch zu Hause und müssen von ihren Eltern unterstützt werden. Diese jungen Menschen haben wenig Perspektiven und sind zu Recht wütend. Wütend auf die Generation vor ihnen, die in Saus und Braus lebte. Wütend auf die vielen Politiker, die sich schamlos bedienten und die eigenen Taschen füllten. Die Suppe auslöffeln müssen sie nun dafür. Viele von ihnen haben auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, hatten sie doch noch gar nie die Möglichkeit zu arbeiten. Wer kann, der flieht ins Ausland. Wer bleibt, der hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Der neue und zugleich alte Regierungschef Mariano Rajoy verkündete zwar stolz sinkende Arbeitslosenzahlen, in Realität sind aber die grosse Mehrzahl dieser „neu geschaffenen Jobs“ nur befristet auf weniger als 9 Monate. Die jungen Spanier nennen diese Verträge „trabajos de basura“ – Mülljobs.

Erstaunliches tut sich dabei nun auf dem Medienmarkt, der nicht nur in Spanien sondern international angeschlagen ist und von einem technologischen Wandel und einer Krise heimgesucht wird. Junge Arbeitslose taten sich zusammen und haben zuerst nur zum Spass begonnen kleine Webserien zu produzieren. Haben sie doch mehr als genug Zeit dazu. Die Zuschauerzahlen der Low-Budget Produktionen gingen bald schon durch die Decke. Dieses Phänomen kann sich keiner wirklich erklären. Aber die Erklärungsansätze sind ähnlich wie in anderen Ländern auch. Die öffentlich finanzierten Staatssender produzieren an den Zuschauern vorbei. So sendet TVE Eigenproduktionen wie „Seis Hermanas“, welche in den Dreissigerjahren in Madrid spielt oder eine Abenteuerserie aus dem 17. Jahrhundert. Grosse Erfolge wie „Fisica o Quicima“, einer Jugendserie die zuerst online ausgestrahlt wurde bevor sie im Fernsehen lief, sind von Privatsendern entwickelt und durch exzessives Prouctplacement mitfinanziert worden.

Als neues Zentrum für die Low-Budget Webserien hat sich Sevilla hervorgetan. Gleich eine ganze Reihe dieser Serien werden dort von arbeitslosen Laiendarstellern produziert, oft nur finanziert durch Merchandisingartikel wie T-Shirts oder Mützen. Nur minimalste Technik kommt dabei zum Einsatz. Mehrere von ihnen thematisieren die Krise und ihre Auswirkungen auf die junge Generation in der Tiefe. Denn das staatliche Fernsehen berichtet kaum über ihre Situation. So wird aus der Not eine Tugend, neue Formate ohne Budget und mit viel Kreativität finden ein breites Publikum. Sie verarbeiten die politische Ungerechtigkeit, dass nun Millionen junger Menschen für die Fehler weniger herrschsüchtiger und korrupter Politiker geradestehen müssen. Pionierhaft zeigen sie dabei den alteingesessenen Medien wie die Zukunft funktioniert. Die Serien heissen zum Beispiel „Treintañeros“ (Menschen in den Dreißigern), „Asqueadas“ (Die Angeekelten) und „Parados“ (Die Arbeitslosen). Eine der erfolgreichsten ist jedoch „Malviviendo“ (Schlechtes Leben). Sie wurde mit einem Budget von nur 40 Euro begonnen. Regisseur David Sáinz hat die ersten Folgen über das angezapfte WLAN seiner Nachbarn ins Netz gestellt. Mittlerweile haben sich fast 30 Millionen Zuschauer das Porträt über einen Haufen heruntergekommener Jugendlicher angesehen. Die Sprache in der Serie ist ziemlich derb. Doch interessanterweise strahlt nun ein Kabelunternehmen die Folgen am späten Abend aus und ein lokaler Fernsehsender hat die Macher damit beauftragt eine weitere Staffel zu drehen.

weitere Serien:

Fazit: Die verlorene Generation kann rein gar nichts für ihre aktuelle Lage. Sie waren es nicht, die über ihren Verhältnissen gelebt haben. Wer den Schritt ins Ausland geschafft hat, der hatte Glück. Wer geblieben ist, der sieht düster in die Zukunft, denn es wird noch lange dauern, bis es wieder wie vor der Krise aussehen wird. Das beste aus der Situation machen und mit Kreativität für ein besseres, nachhaltigeres Spanien kämpfen ist die Maxime der Stunde. Dass dabei ganz nebenbei ein Strukturwandel in den Medien stattfindet, machte viele Journalisten erstmal arbeitslos. So wurde zum Beispiel in Valencia ein kompletter TV-Sender eingestellt. Doch gleichzeitig entstehen neue und innovative Ideen und Projekte, die diesen sowieso notwendigen Wandel nun beschleunigen und vielleicht den Markt von Grund auf verändern. Wir bleiben dran.

 

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